Dienstag, 16. Juni 2015

Ende vom Centurion-Blog

Liebe Leser des Centurion-Blog

Mein ursprüngliches Ziel, 100 Meilen in 24 Stunden zu laufen, habe ich zwar noch nicht erfüllt. Ich bleibe aber dran und werde dieses oder nächstes Jahr einen Versuch starten.

Den Centurion-Blog werde ich nicht mehr weiterführen. Meine Laufbericht erscheinen nun in einem neuen Blog unter: www.martinhochuli.com/blog

Ich freue mich, wenn ihr mir weiterhin folgt.

Montag, 18. Mai 2015

Ultra Bielersee 50km 2015

Seit meiner Premiere vor 2 Jahren beim Ultra Bielersee, bin ich Fan dieses Laufes. Die Organisation ist einfach und unkompliziert gehalten. Die Stimmung ist locker und kameradschaftlich. Die Strecke ist rund um den Bielersee mit Abstecher auf die St. Petersinsel bietet viele malerische Ausblicke.

Nachdem für mich die Ausgabe 2013 nach Plan verlaufen war, endete das Rennen 2014 eher im Debakel. Dieses Jahr steh ich entsprechend wieder mit mehr Demut am Start. Mein Ziel heute: Das Rennen gleichmässig laufen und in einer Zeit um 4:45h finishen. Da meine Familie zum ersten Mal mit an einen Ultra kommt habe ich gar nicht richtig Zeit, mir über das Rennen Gedanken zu machen. Silvia wird mit den Jungs und Helferin Stephanie den Verpflegungsposten bei km 10 organisieren. So kann ich mich also schon beim Start auf ein Wiedersehen nach knapp einer Stunde freuen.



Punkt 9:00 Uhr werden die rund 100 Läuferinnen und Läufer auf die Strecke geschickt. Ich Reihe mich ziemlich zuhinterst ein und nutze die ersten Kilometer mal zum warmlaufen. Diese Woche hatte ich irgendwie schwere Beine und war nicht sicher, wie gut ich mich heute fühlen würde. Jetzt funktioniert erfreulicherweise alles bestens und der Puls pendelt sich bei rund 150 BPM ein. Langsame, aber komfortable Pace. Das Feld zieht sich rasch in die Länge und auf den ersten 10km werde ich vereinzelt noch überholt, und kann auch selber mal einen Läufer überholen. Wegen dem Hochwasser der letzten Tage, gibt es bei Mörigen eine kleine Umleitung. Die meteorologischen Verhältnisse sind ideal. Der Himmel noch etwas bedeckt, also keine direkte Sonneneinstrahlung, aber genügend warm für Kurzarm-Tenü.

Genau nach Plan bin ich nach nicht ganz einer Stunde beim ersten Verpflegungsposten, wo mir unser jüngerer Sohn einen Becher Wasser und einen Gel reicht. Keine Zeit für Smalltalk, sofort wieder weiter. Die neue Kraftwerksanlage am Hagneck-Kanal ist nun praktisch fertig gebaut. Ein imposantes Bauwerk, welches mich beeindruckt. Nächstes Zwischenziel ist der Verpflegungsposten bei km 19, dem Einlass zur St. Petersinsel. Ich laufe nun alleine und hüte mich davor, die Lücke zu den Läufern rund 200m vor mir zu schliessen. Ich will einfach mein Tempo laufen und die Kräfte für die zweite Hälfte sparen. Beim Verpflegungsposten dann kurz die Wasserflasche füllen und weiter geht’s.



Vor dem 10km langen Abschnitt auf der St. Peterinsel habe ich Respekt. Da die Strecke hier ein out-and-back ist, kommen mir die Spitzenläufer schon bald entgegen. Da realisiert man, wie weit zurück man liegt und wie viele Läufer vor einem liegen. Das kann auf die Psyche schlagen, wenn man sich dadurch stressen lässt. Zudem hat es hier viele Spaziergänger und Fahrradfahrer, denen man sich anpassen muss. Ich laufe immer noch alleine und nehme mehrmals etwas Tempo raus, als der Puls zu stark steigt. Ich will ich noch nicht über 160BPM steigen lassen. Pace ist immer bei rund 5:30/km. Alles im grünen Bereich. Ich versuche auch regelmässig zu trinken und die Energie-Gels runter zu drücken. Nicht dass es einen zu einem Einbruch infolge Flüssigkeits- und Energiemangel kommt. Nach dem Verpflegungsposten beim Kloster, kann ich auf einen anderen Läufer aufschliessen. Ich habe das Gefühl, etwas schneller zu sein, überhole ihn aber nicht sondern nutze ihn als Pacemaker. So läuft es sich leichter und ich kann Energie sparen. Im Gegensatz zum letzten Jahr gibt es dieses Mal keinen Einbruch bei Halbzeit. Ich freue mich, als ich nach 29km wieder ein Erlach bin. Nur noch ein Halbmarathon, dann bin ich im Ziel!



Inzwischen sind die Wolken weg und es ist ein herrlicher Tag am See. Etwas Sonnencrème am Morgen hätte nichts geschadet, das merke ich aber erst nach dem Rennen. Auf der Brücke über die Thielle überhole ich einen Läufer des Bielersee XXL, welcher auf seiner letzten Runde ist und nun gut 140km in den Beinen hat. Faszinierende Leistung. Ab hier hat gibt es einen leichten Gegenwind, welchen ich als angenehm empfinde. Ab Le Landeron sieht man Biel in der Ferne und die restliche Aufgabe ist glasklar. Ich fühle mich immer noch gut und beginne mögliche Endzeiten zu überschlagen. Auch sonst versuche ich mich im Kopf abzulenken und einfach die Beine laufen zu lassen. Zwischen Kilometer 30 und 37 kann ich zwei oder drei andere Läufer überholen. Das ist bedeutend angenehmer, als wie letztes Jahr hier selber überholt zu werden.

Nach der Verpflegung in La Neuveville bin rund 100m hinter einen Läufer mit sehr rundem und lockeren Laufstil. Ich kann langsam aufschliessen und forciere dann etwas, damit ich die Lücke ganz schliessen und ihm anhängen kann. Ich konzentriere mich nur noch auf seine Beine und kann mich so bei Puls knapp unter 170BPM mit einer guten Pace Richtung Ziel ziehen lassen. Richtig komfortabel ist es jetzt nicht mehr, das ist nach rund 4h Rennzeit aber auch nicht zu erwarten. Ich rechne wieder und es sollte eine Zeit um 4:40 drin liegen. Das wäre dann meine PB für diesen Lauf. Diese Zeit wollte ich eigentlich letztes Jahr laufen und habe es vor lauter Ungeduld versemmelt. Heute mit viel Geduld sieht es deutlich besser aus.

Bei der letzten Verpflegung in Alfermée bei km 47, stoppt mein Pacemaker und ich laufe weiter. Die letzten drei Kilometer werde ich auch noch alleine schaffen! So ist es dann auch. Immer ein toller Moment, wenn man von der Hauptstrasse in den Park abbiegen kann. Dann durch den Hafen, am Strandbad vorbei und ins Ziel bei der Lago Lodge. Silvia und Remo warten vor dem Ziel und ich kann mit dem Kleinen an der Hand durchs Ziel laufen. Endzeit 4:37:38 / Durchschnittspuls 157 BPM / Pace 5:28/km. Alles tiptop!



Fazit
- Die Ausrüstung funktioniert. Insbesondere der Hoka One One Conquest 2-Laufschuh machte keine Probleme.

-Renneinteilung ist nicht alles! - Aber sehr viel!

Sonntag, 10. Mai 2015

Projekt „5 Ultras in 5 Monaten“

Winterzeit
Nach dem Lucerne-Marathon war erst mal fertig mit laufen und November/Dezember habe ich praktisch nie die Laufschuhe geschnürt. Dafür ist der Schokoldenkonsum explodiert und Ende Jahr hatte ich ca. 5kg mehr auf den Rippen. Für meine Verhältnisse war ich dafür fleissig mit Dehn- und Kräftigungsübungen. Diese sollten die Basis für eine verletzungsfreie Saison bilden. Nach Weihnachten habe ich dann wieder mit Hometrainer-Training begonnen. Die Saisonplanung hängte vom Ausgang der UTMB-Lotterie am 14. Januar ab. Leider bekam ich keinen Startplatz und somit war das geplante Saison-Highlight schon Monate vor dem Start für mich beendet.

Saisonplanung
Für den Eiger Ultra Trail E101 hatte ich mich bereits angemeldet. Ich wollte aber zusätzlich einen Lauf mit deutlich über 100km versuchen. Favorit wäre der Irontrail T141 gewesen. Leider haben die Strecken geändert und es wird „nur“ noch der T121 angeboten, welcher sich für mich zu wenig vom E101 unterscheidet. Ich entscheide mich als Alternative für den Ticino Trail mit 130km und 10‘000Hm. Mit dieser Wahl bin ich aber irgendwie nicht richtig glücklich, da das Rennen mit Startzeitpunkt vor Mitternacht, logistisch recht kompliziert ist. Zu meiner Unsicherheit kommt plötzlich noch eine Blockade im Rücken, welche auch nach 3 Wochen noch nicht weg ist. Schlussendlich gehe ich in die Chiropraktik, aber auch das bringt nicht den erhofften raschen Erfolg. Ich überlege mir, was mich denn so blockiert, dass gleich mein Rücken streikt. Eines Abends surfe ich die Ultra-Trail-Webseiten ab und entdecke, dass es beim Irontrail T201 eine offizielle Spezialwertung bei 137km gibt. Yess, mein Saisonhöhepunkt ist klar! Am nächsten Morgen ist die Blockade im Rücken weg und ich melde mich für den T201 an. – Nun kann ich den Rest der Saison planen und das Projekt „5 Ultras in 5 Monaten“ entsteht.

„5 Ultras in 5 Monaten“
Die Idee ist, von Mai bis September, jeden Monat einen Ultra-Marathon zu laufen. Die Frage ist, ob ich alle finishen kann und ohne Verletzung bis in den September komme. Die geplanten Läufe sind:

Mai – Ultra Bielersee – 50km
Mein schon traditionell erster Ultra im Jahr. Ich habe diesen Lauf bereits 2013 und 2014 absolviert. Super gemütliche Atmospähre und schöne Strecke um den Bielersee inkl. Abstecher auf die St Petersinsel. Praktisch keine Höhenmeter, dadurch eine gleichbleibende relativ hohe Intensität über die ganze Strecke. Ziel: Gute Renneinteilung, kein Einbruch auf der zweiten Hälfte und eine Zeit um 4:45h.

Juni – 100km von Biel
Die Nacht der Nächte. Ich will es nochmals versuchen. Ziel ist immer noch, einmal die 100km unter 10h zu laufen. Betreffend Training werde ich wahrscheinlich nicht stärker sein als 2013. Betreffend Erfahrung bin ich aber sicher viel weiter. Ich bin gespannt, wie sich das auswirkt.

Juli – Eiger Ultra Trail E101
Den Höhepunkt von 2014 nochmals versuchen. Im Training mache ich dieses Jahr mehr Höhenmeter, dafür weniger Kilometer. Das soll sich in den Trail-Rennen auszahlen. Für den Eiger Ultra Trail erhoffe ich ebenfalls, von den Erfahrungen vom letzten Jahr profitieren zu können. Erstes Ziel: Gesund ankommen. Zweites Ziel: Wenn möglich unter 20h.

August – Irontrail T201
Saisonhöhepunkt und die Möglichkeit, wieder mal meine Grenzen zu verschieben. Ich wünsche mir, dass ich gesund an den Start kann und das Wetter gut ist. Dann wäre das Minimalziel, die Spezialwertung bei Maloja (99km) zu erreichen, was schon mal 3 UTMB-Qualipunkte bringen würde. Dann Saisonziel: Deutlich über 100km, das wäre die Spezialwertung bei 137km in Savognin. Das Sähnehäubchen wäre natürlich, dann noch den Versuch auf die ganzen 200km zu wagen. Wir werden sehen.

September – 6/12/24h Lauf von Brugg
Wenn ich dann wirklich noch nicht genug habe, möchte ich mich mal an einem Rennen über eine fixe Dauer versuchen. In Brugg wäre das im September möglich. Der 6h-Lauf würde bereits eine Ultra-Distanz ermöglichen. Beim 12h-Lauf lägen wohl 100km drin und die 24h wären dann ziemlich deftige Kost.

Fazit

Die Planung ist ziemlich ambitiös. Das motiviert fürs Training und liefert schon mal viel Vorfreude. Ich werde versuchen, möglichst alles zu finishen und vor allem nochmals an Erfahrung zu gewinnen. 

Freitag, 31. Oktober 2014

SwissCity Marathon Luzern 26.10.14 / Marathon ist hart! (reloaded)

Eigentlich wollte ich gar keinen Laufbericht über diesen Marathon schreiben. Was will man denn über einen Marathon noch schreiben? - Als ich aber vor dem Start zum ersten Mal von einem anderen Läufer als Blogschreiber erkannt und angesprochen wurde, habe ich es mir anders überlegt. Irgendwie findet man auch bei einem Marathon etwas zum Schreiben.

Die Vorzeichen waren praktisch gleich wie im Vorjahr. Nach all den (Ultra-) Trailrennen wollte ich noch etwas flaches und schnelles zum Saisonabschluss laufen. Meine Marathonbestzeit wollte ich wenn möglich verbessern. Zudem war ich gespannt, wo „Schwachstellen“ im Körper stecken. Bei der Dauerbelastung eines Marathons werden einem diese jeweils viel deutlicher aufgezeigt, als bei einem abwechslungsreichen Trail-Lauf. Insgesamt hatte ich die letzten Wochen fast nichts trainiert und war mehr mit Geschäft und Familie beschäftigt. Das sind nicht gerade die besten Voraussetzungen, andererseits hatte ich wieder mal richtig Lust zum laufen!

Die Ziele konkret:
1.) In jedem Fall unter 4:00h bleiben.

2.) Geduldig beginnen. Erste Hälfte mit einem Schnitt von 5:30/km (ca. 1:56h). Zweite Hälfte etwas schneller.


Vor dem Rennen
Schon auf dem Bahnhof in Sursee wurde mir klar, dass ich wieder mal in einer richtigen Massenveranstaltung gelandet war. Das Perron und nachher der Zug voller Läufer. In Luzern dann die grosse Schlange vor dem Schiff zur Überfahrt ins Verkehrshaus. Ich bin zum ersten Mal überrascht, wie effizient die Massen abgehandelt werden. Beim Verkehrshaus habe ich Angst, dass ich die Startnummer nicht rechtzeitig bekomme, da es so viele Leute hat. Mein Kummer ist unbegründet. Mein Schalter ist leer und die Startnummernausgabe dauert nur ca. 15 Sekunden. Zum zweiten Mal schwer beeindruckt.

Auf dem Weg zur Garderobe treffe ich ein paar Bekannte und wechsle ein paar Worte. Umziehen, Wertsachen abgeben und zurück zum Startgelände. Heute nehme ich mal kein eigenes Getränk mit und will nur an den Verpflegungsposten trinken. Richtige Marathonläufer kennen das nicht anders. Als Trailrunner ist man sich gewohnt, das Getränk für zwei Stunden auf Mann zu haben. Ich stecke mir noch zwei Gels in die Hosentasche, da diese hier nur spärlich abgegeben werden. Perfektes Laufwetter. Gut 10°C Temperatur, keine direkte Sonne, aber trocken. Ich reihe mich in den Startblockmit Zielzeit unter 4:00h ein und hoffe insgeheim, dass ich es unter 3:45h schaffe.



Erste Runde
Um Punkt 9:00 Uhr startet der schnellste Block. 9:05 Uhr der zweite und dann um 9:10Uhr sind wir an der Reihe. Da gemeinsam mit dem riesen Halbmarathon-Feld gestartet wird, ist es ein ziemliches Gedränge. Zum Glück ist die Strasse breit und so funktioniert es trotz der Massen sehr gut. Ich versuche geduldig zu bleiben und mich nicht zu einem hohen Anfangstempo verleiten zu lassen. Das ist aber im Pulk verdammt schwierig. Leider zeigt meine neue Tomtom-Uhr sehr verwirrende Pace-Werte an und verliert in der Stadt teilweise den GPS-Empfang. So traue ich der Anzeige bald nicht mehr und versuche einfach gemütlich zu laufen. Ich habe das Gefühl, dies gelingt mir gut und es fühlt sich locker an.

Letztes Jahr wurde ich von den kleinen Hügeln au der Horwer Halbinsel etwas überrascht. Jetzt weiss ich, was mich erwartet und kann mich entsprechend darauf vorbereiten. Bis auf die Uhr funktioniert alles tiptop und die 10km-Marke passiere ich genau nach 55 Minuten, also genau im geplanten 5:30/km-Schnitt. Allerdings macht mich das etwas nervös, ich hätte gerne etwas Reserve. Sollte ich nicht versuchen, am Anfang, wenn es noch leicht geht, etwas schneller zu laufen? – Nein, für heute habe ich mir vorgenommen, die erste Hälfte bewusst defensiv anzugehen. In mir gibt es einen kleinen Kampf, aber ich bleibe bei meinem Vorhaben. Der Puls liegt im tiefen 160er Bereich, alles in Ordnung!

In Horw dann wieder viele Zuschauer und einiges an Stimmung. Dann geht es durch die Schrebergärten auf die Allmend und dann zurück in die Stadt. Beim Alpenquai treffen wir dann auf den Gegenverkehr des Marathons. Nun wird es psychisch schwieriger, da man realisiert, wie viel Vorsprung diese Läufer haben. Die KKL-Passage finde ich dann weniger spektakulär als letztes Jahr. Anschliessend runter in die Altstadt und wieder zurück zur Seebrücke. Von dort bis zur Wendemarke kurz vor dem Verkehrshaus ist es dann psychisch ziemlich hart. Auf der anderen Strassenseite kommen wieder die schnelleren Marathonläufer entgegen. Die mitlaufenden Halbmarathon-Läufer ziehen ihren Endspurt an und ich darf nicht mitgehen! Der Puls steigt auf rund 170 Schläge. Das ist okay, viel schneller darf ich jetzt aber noch nicht. Dann die Trennung vom Halbmarathon. U-Turn und zurück auf die zweite Runde. Jetzt ist die Strecke ziemlich leer und ich fühle mich fast etwas einsam und ausgestellt.

Die Halbmarathonmarke passiere ich nach ca. 1:54:30. Das ist eine Pace von 5:26/km. Also ziemlich genau, wie ich mir das vorgenommen hatte.




Zweite Runde
Jetzt ist es psychisch wieder einfacher. Erstens sehe ich nun, dass auf der anderen Seite immer noch Marathonläufer hinter mir laufen. Zweitens kann ich mein Tempo halten und so immer wieder zu Läufern vor mir aufschliessen und diese überholen.

Nach dem KKL kommt dann der führende Marathonläufer entgegen. Das ist beeindruckend! Ich habe erst grad die zweite Hälfte in Angriff genommen, er ist schon bald im Ziel! – Beim Alpenquai wird es dann ruhiger, es hat fast keine Zuschauer und man muss sich selber motivieren.

Die Pace-Anzeige der Tomtom zeigt immer noch Werte, welche offensichtlich falsch sind (4:44 – 5:05/km). Da bin ich enttäuscht von der Uhr. Die Pulsanzeige scheint dafür zu stimmen und bewegt sich konstant bei ungefähr 174 Schlägen/Minute. Körperlich soweit alles in Ordnung. Ich trinke bei fast jeder Verpflegungsstelle einen Becher Wasser und nehme mir auch mal ein Stück Banane. Meine beiden Gels habe ich bereits verdrückt, dort wo solche abgegeben werden, genehmige ich mir einen.

Dann kommen die Steigungen zwischen der Stadt und Kastanienbaum. Nun steigt der Puls zum ersten Mal über 180. Dort bleibt er dann auch und kommt bis zum Ende nie mehr drunter. Die Kilometer laufen heute flüssig runter. Das war auch schon anders. Bei der 30km Marke überlege ich mir, dass es nun nur noch gut 60 Minuten dauert. Bei km 32 beginne ich dann konkret zu rechnen. Es sollte eine Zeit um 3:50 möglich sein. Würde ich es drunter schaffen und allenfalls sogar persönliche Bestzeit laufen (3:48)? – Zuerst freue ich mich nun aber auf Horw. Dort hat es viele Leute, Speaker und Musik. Allenfalls sehe ich dort sogar meine Kollegin Melanie, welche in gut einer Stunde zum 5 Mile-Run (ihr erstes Rennen) starten wird. Zudem gibt es eine Verpflegungsstelle mit Energie-Gel: Was will man mehr?




Allerdings kommt nachher die Strecke über die Allmend zurück in die Stadt. Hier hat es wenig Zuschauer und Unterhaltung. Zwischendurch werde ich mal überholt, aber meistens bin immer noch ich es, welcher überholt. Am liebsten würde ich etwas marschieren. Das liegt aber heute nicht drin und es heisst einfach durchbeissen. Die psychische Erlösung kommt nach der Passage des Tunnels beim Rösslimatt-SUVA-Gebäude. Nun nochmals durchs KKL, dann runter in die Altstadt und dann die letzten zwei Kilometer zurück zum Verkehrshaus. Diese letzten beiden Kilometer sind dann ziemlich hart. Der Puls ist nun über 190. Mehr geht nicht. Langsamer will ich aber auch nicht machen, ich will nun möglichst rasch fertig sein. Dann endlich biege ich auf die Zielgerade im Verkehrshaus ein. Ich muss lachen. Es reicht genau für eine Zeit unter 3:50: 3:49:44. Dass hübsche Cheerleader vor der Ziellinie tanzen, realisiere ich erst zwei Tage später, als ich das Finisher-Video sehe.

Die Renneinteilung war wohl sehr gut und die zweite Hälfte nur Sekunden langsamer als die erste. Reserven habe ich im Ziel nicht mehr viele. Ich muss mich zuerst mal zwei Minuten hinsetzen, bevor ich mich zur Dusche aufmache. Nach dem Duschen gibt es einen Hamburger und auf dem Weg zum Finisher-Shirt-Stand, kann treffe ich noch Melanie nach ihrem ersten 5-Mile-Run. Kommentar von ihr: „Einmal und nie wieder!“ – (Dieser Kommentar wird am nächsten Tag revidiert: „Eigentlich war es schon noch cool. Nächstes Jahr könnte ich vielleicht mal den Halbmarathon probieren!“)


Am Anfang nur 833. in der Zwischenzeit. Im letzten Abschnitt dann 487. 


Lessons learned
1.) Eine gute Renneinteilung ist wichtig. Diese braucht auf der ersten Hälfte viel Geduld und Disziplin.

2.) Ein Marathon deckt die Schwachpunkte auf. Bei mir dieses Mal die schwache Rumpfstabilität. Muskulär machen mir vor allem die Rücken- und Bauchmuskeln Mühe.

3.) Ohne gezieltes Training werde ich immer bei 3:50 rumdümpeln!

4.) Marathon ist hart, macht aber trotzdem sehr viel Spass und Freude!


Nachtrag: So wird man zum/zur Läufer/Läuferin:
Melanie (drei Tage vor dem 5 Mile Run): "Ich hab so keine Lust. Ich hab mich aber angemeldet, also mach ich es."

Melanie (direkt nach dem Zieleinlauf): "Das war hart. Einmal und nie wieder!!!!"

Melanie (ein Tag nach dem 5 Mile Run): "War schon noch cool! Also nächstes Mal probier ich vielleicht mal den Halbmarathon. - Was läuftst du als nächstes?"



Freitag, 12. September 2014

Sardona Gamidaurspitz Trail Halbmarathon 2014 - Just for fun!

Während der Technikerschule teilten Stefan Zweifel und ich mal ein halbes Jahr in Biel ein Zimmer. Eine Grundregel gab es da: Wir trinken jeden Abend mindestens ein Bier zusammen. Eisern wie wir waren, haben wir dies trotz aller Widerstände durchgezogen. – Heute, zwei Hochzeiten, fünf Kinder, mehrere Stellenwechsel und hunderttausende Hypothekarschulden später, ist das Leben etwas komplizierter als damals. Die grundlegenden Dinge haben sich aber nicht geändert: Wir trinken immer noch gerne Bier zusammen und wir sind natürlich immer noch eisern!

Nachdem Steff, anfangs Jahr wieder mit laufen begonnen hatte, ist die Idee entstanden, gemeinsam den Sardona Trail Halbmarathon zu laufen. (Eigentlich wollten wir nur gemeinsam Bier trinken. Das hätten wir aber bei unseren Frauen nicht durchgebracht. Deshalb haben wir das Bier trinken mit 21km und 1500Hm getarnt.)



Also bin ich am Freitag Abend angereist. Mitgebracht habe ich Steff ein Cachon Bier und seine Schwiegermutter (welche gemäss unserem Plan am Samstag die Kinder hüten musste). Ich bin kein Fan von Carbo-Loading. Bei Corinne’s Spaghetti habe ich aber zweimal kräftig zugeschlagen. Dazu zwei Bier, damit auch der Flüssigkeitsspeicher gefüllt ist. Statt einem weiteren Bier, haben wir dann unserer (Pflicht-)Ausrüstung kontrolliert. Beim Sardona gibt es eine sehr genaue Materialkontrolle, das wusste ich noch vom letzten Mal. Nach all den Ultra-Rennen dieses Jahr, macht ich mir für einmal keine Sorgen betreffend Finish. Ich war aber gespannt, wie sich Steff in seinem ersten „Ernstkampf“ schlagen würde. Ohne Nervosität schläft es sich dann auch gleich viel besser.

Tagwache um 7:00 Uhr. Cappucino und Cornflakes. Dann Toilette, packen und weg! Von Wangs geht es mit der Gondel bis zur Zwischenstation Furt. Dort holen wir die Startnummern und trinken mal den nächsten Kaffee. Ich genehmige mir gleich noch einen Mandelgipfel dazu. Normalerweise machen meine Magennerven das vor einem Rennen nicht mit. Heute aber alles entspannt, was ich geniesse. Wir schauen den Start des Sardona Marathons und gehen dann zur Ausrüstungkontrolle. Dank seriöser Vorbereitung bestehen wir diese mit Bravour. Eine Premiere erlebe ich mit dem Zeitmesssystem. Es kommt vom Orientierungslauf und besteht auch einem Chip, welchen man an den Finger macht und der dann bei den Zwischenposten und im Ziel in ein Lesegerät gesteckt werden muss.

Steff bei der Materialkontrolle
Kurz vor dem Start stellen wir uns hinten ins Läuferfeld rein. Um Punkt 10:00 Uhr schiesst Umberto mit der Startpistole und es geht los. Wettertechnisch sieht es etwas verhangen und neblig aus. Temperatur ist aber in Ordnung und viel Regen sollten wir auch nicht erwischen. Ich will den gesamten Lauf zusammen mit Steff absolvieren und reihe mich deshalb einfach hinter ihm ein. Den flachen Teil bis zum ersten Anstieg geniesse ich total. Heute habe ich keinen Druck. Wir laufen fast zu hinterst und es fast nur Frauen um uns rum. Dann geht es in den Anstieg von rund 500Hm. Steff hat ein gutes Tempo und mein Puls pendelt sich bei gut 160 Schlägen ein. Alleine wäre ich wohl ein wenig schneller, viel würde es aber nicht ausmachen.

Wir sind guter Dinge!

Aussicht schlecht. Wetter aber ideal zum Laufen.

Wir können im Aufstieg einige Läufer überholen, so macht es Spass. Nach rund 50 Minuten stehen wir auf 2000m beim Gipfelkreuz und bitten eine Wanderin, ein Beweisfoto für unsere Frauen zu machen. Dann geht es auf den Downhill Richtung Verpflegungsposten Gaffia. Steff lässt es hier mächtig fliegen und ich muss aufpassen, dass ich ihm folgen kann. Auf einer Ultra-Distanz würde ich mich nicht getrauen, bergab so Gas zu geben. Auf der Kurzstrecke mag es das sicher leiden. Die Wege sind teilweise recht matschig. Insbesondere, als wir noch eine Tambourengruppe inkl. Instrumenten kreuzen, müssen wir uns vor Ausrutschern in Acht nehmen. Das Gelände ist zum Glück viel steiniger als beim Mountainman. So finde ich immer eine feste Stelle zum auftreten.
Am Gipfelkreuz mit der Frauenriege Kaltbrunn
Beim Verpflegungsposten erkläre ich Steff, dass wir sofort weitergehen und uns unterwegs verpflegen. Er konsumiert den ersten Energie-Gel seines Lebens und findet den erstaunlicherweise gar nicht so übel. Ich fand den ersten Versuch damals ganz scheusslich. Es folgen gleich nochmals 500Hm hoch zum Schwarzsee. Wieder kommen wir ordentlich vor- bzw. aufwärts. Das Läuferfeld ist schon weit auseinandergezogen und wir haben nun vor allem Begegnungen mit Wanderern. Wetter immer noch neblig aber ideal zum Laufen. Wir passieren mit dem Baschalvsee den ersten See der 5-Seen-Wanderung. Vom letzten Jahr habe ich nur noch die neuralgischen Punkte im Kopf. An den Streckenverlauf dazwischen erinnere ich mich nicht mehr vollständig. Einen dieser neuralgischen passieren wir vor dem Abstieg zum zweiten See, dem Schwarzsee. Der Gipfel mit den unzähligen Steinmannli. Auch hier werden Erinnerungsfotos gemacht.

"Steinmannli-Gipfel" im Nebel
Steff gibt immer noch ordentlich Gas und wir absolvieren die anspruchsvollere erste Streckenhälfte in ziemlich genau zwei Stunden. Unser Ziel, eine Zeit unter vier Stunden sollten wir somit locker erreichen. Auf dem Flachstück beim Schwarzsee zwickt es Steff dann aber am linken Knie und wir werden auf Marschtempo gebremst. Es folgt nochmals ein kurzer, aber knackiger Anstieg. Oben kurze Pinkelpause, dann geht es in den Downhill zum Schottensee (See Nummer 3). Das „Knie des Teams“ macht leider immer noch nicht mit und die Geschwindigkeit entsprechend viel langsamer als es Kondition und Gelände zuliessen. Tja, dann kann man nichts machen, nun heisst es durchbeissen und fertig machen.

Wildsee
Es folgt der letzte Anstieg zur Wildseeluggen, dem höchsten Punkt der Strecke (2490m). Dort ist ein Posten der Bergwacht und wir müssen mit unseren Chips bestätigen, dass wir wirklich hier waren. Die Marathonstrecke zweigt hier ab und zieht sich entlang des Wildsees (Nr. 4) Richtung Lavtinasattel. Wir können durch die Wildseeluggeen stechen und Richtung Pizolhütte absteigen. Steff zieht zur „Gipfelfeier“ eine Tafel Nuss-Schokolade aus dem Rucksack. Herrlich, das schmeckt jetzt fast besser als ein Bier. – Vor uns liegen noch rund 7.5km inklusive fast 1000Hm Abstieg. Hört sich nach Spass an. Ist es aber mit einem lädierten Knie eher ein Kampf. Wir haben eine gute Stunde Zeit, wenn wir unseren Sub-4h-Finish schaffen wollen. Ist das noch realistisch?
Schoko-Pause
Einige Läufer überholen uns und das schlägt natürlich etwas auf die Motivation. Es geht ja aber nur darum, das Rennen gesund und zufrieden zu finishen. So marschieren wir einfach stetig weiter. Bei der Pizolhütte der letzte Verpflegungs- und Kontrollposten. Kurz ein obligatorischer Becher Cola und weiter geht’s. Ich rechne und schätze. Noch 4.5km und 40 Minuten zur Verfügung. Es kann trotz malträtiertem Knie reichen, wird aber nochmals spannend. Steff beisst auf die Zähne und versucht immer wieder in den Laufschritt zu fallen. In Gaffia hat es dann einige Wanderer, welche uns anfeuern. Das gibt nochmals Energie für die letzten zwei Kilometer. Wir bleiben dran und wollen die vier Stunden unbedingt unterbieten.

Wenige hundert Meter vor dem Ziel ist es dann klar. Es wird reichen! Zweihundert Meter vor der Ziellinie zieht Steff auf einmal einen Endspurt an und ich muss schauen, dass ich bis zur Ziellinie wieder aufschliessen mag. Die Uhr bleibt bei 3:54:47 stehen. Da haben wir ja sogar noch Reserve! Endlich wieder mal ein gemeinsames Projekt erfolgreich zu Ende gebracht!

Wir holen das Finisher-Shirt und packen dann unsere Sachen. Zu Hause wartet Corinne’s Pasta und ein Bier!





Mittwoch, 20. August 2014

Mountainman 2014 - Oder heisst es "Mudman"?

Vor dem Rennen
Die Ausgangslage ist klar. Auf dem Pilatus warten die 3 restlichen UTMB-Qualipunkte auf mich. Vom Eiger Ultra Trail (EUT) habe ich mich körperlich gut erholt und keine Beschwerden mehr. Mein Selbstvertrauen nach dem erfolgreichen EUT-Finish ist riesig und irgendwie beschleicht mich auf einmal das Gefühl, dass der Respekt vor dem Mountainman etwas fehlt. Könnte sich das allenfalls rächen? – Zeitlich möchte ich den Lauf unter 14 Stunden finishen. Das Zeitlimit liegt bei 16 Stunden. Wichtig ist aber einfach, dass ich am Schluss auf der Rangliste stehe und die Quali-Punkte zählen!

Logistisch habe ich dank Kollegin Doris optimale Bedingungen. Am Freitag Abend parkiere ich mein Auto in Alpnachstad und hole die Startunterlagen ab. Doris holt mich ab und ich bekomme Top-Verpflegung und Unterkunft in Stans. Der Abend ist kurzweilig und interessant und das Rennen irgendwie immer noch weit weg.

Die Nacht dann wie immer etwas unruhig. Irgendwie realisiere ich, dass 80km und 5000 positive und fast gleich viele negative Höhenmeter, halt doch erst gelaufen werden müssen. Um 4:15 Uhr geht der Wecker. Ich mache meine üblichen Vorbereitungen und entscheide mich nach Konsultation der Wetterprognosen, mich eine Schicht wärmer anzuziehen. Diese Entscheidung sollte sich später schon mal als richtig herausstellen. Mit dem Doris-Taxi geht es dann zum Bahnhof, wo um 5:24 Uhr der Zug nach Engelberg fährt. Ich geniesse die Fahrt und höre den Diskussionen und Berichten der zahlreichen anderen Läufern zu.


Bei der Talstation gebe ich meine Sporttasche ab, welche dann auf den Pilatus transportiert wird. Nach Trübsee hoch fahre ich im Gondeli mit Anita Lehmann, welche rund 12 Stunden später als Siegerin und somit Schweizermeisterin ins Ziel laufen wird. Es ist feucht und kalt und neblig und macht noch nicht wirklich an zum laufen! Ich ziehe mir die Handschuhe und die Kappe an. Dann geht es zum Start, wo ich mich noch kurz mit meinem ehemaligen Arbeitskollegen Tinu Jost unterhalten kann. (Vor ungefähr 10 Jahren wollte ich mal mit ihm trainieren. Unser Tempo hat super harmoniert. Leider war es bei mir die Pace für einen 12-Minuten-Lauf, bei ihm für einen Long-Jog. So bin ich dann nach rund 3km einsam auf einer Sitzbank zurückgeblieben). Heute werde ich ihn gleich nach dem Start ziehen lassen!

Vor dem Startschuss werden wir nochmals auf die glitschigen Terrainverhältnisse hingewiesen. Für einmal sicher keine übertriebene Warnung.

Vor dem Start. 6:45 Uhr. Trübsee.
Trübsee – Jochpass
Statt einem Startschuss wird eine übriggebliebene 1. August-Rakete in den Himmel geschossen. Das Feld setzt sich in Bewegung und es geht knapp einen Kilometer über die Ebene, bevor der Anstieg zum Jochpass beginnt. Mir fehlt die Gelassenheit und ich komme irgendwie ins Rennfieber. Der Puls ist schon in den 170er und ich orientiere mich viel zu stark an den anderen Läufern, statt mein eigenes Tempo zu laufen. – Das ist nicht gut in einem Ultra-Trail.
Kolonne zum Jochpass
Bergauf dann die übliche Karawane kurz nach dem Start. Mein Puls ist immer noch zu hoch. Da es nur rund 450Hm sind, habe ich das Gefühl, ich verheize mich doch noch nicht total. Nach rund 45 Minuten ist dieser erste Anstieg gemeistert und es wird auch gleich klar, dass der Wetterbericht mit der Schneefallgrenze um 2‘000m recht hatte. Leichter Graupel, tiefe Wolken, keine Aussicht!

Ankunft Jochpass. Das Feld hat sich bereits auseinandergezogen.

Jochpass - Planplatten
Während ich mir die EUT-Strecke minutiös eingeprägt hatte, weiss ich heute nur im Groben, was mich erwartet. Die eingeschränkte Sicht erschwert zudem die Orientierung und so konzentriere ich mich einfach auf die nächsten paar Meter. Das ist bald auch notwendig, denn im ersten Downhill, wird es zum ersten Mal rutschig. Vor mir flucht ein Läufer über die Verhältnisse. - Da ich mich selber für das Rennen angemeldet habe, darf ich mich nicht beschweren. Ich versuche einfach auf den Beinen zu bleiben und vorwärts zu kommen. Die Zeit spielt mir keine Rolle, nur der Finish zählt. Eine Verletzung bereits nach 5km wäre verheerend.

Am Tannalpsee. - Fischen wäre auch eine friedliche Outdoor-Sportart!

Hoch über dem Engstlensee geht es Richtung Tannalp. Die Strecke ist flüssiger als der EUT, nur die Nässe bremst. Das Feld hat sich mittlerweile auseinandergezogen und mein Rennfieber ist auch weg. Auf der Tannalp sind dann schon 10km absolviert. Ich mache eine kurze Pinkelpause, auch das muss mal sein. Dann geht es weiter Richtung Planplatten. Die Strecke bleibt weiterhin interessant und führt teilweise über tolle Grate. Technisch gut laufbar, wenn es nicht sumpfig ist. Rechts unten die Melchsee-Frutt, da war ich noch nie, habe es aber gleich erkannt. Trail-Running bildet! Im Gegensatz zum Geografie-Unterricht bleibt das Wissen auch viel besser hängen, da es mit etwas Schweiss und Schmerz ins Hirn gebrannt wird.

Auf der Planplatten war ich auch noch nie. Aus der Werbung bringe ich diese mit Sonnenterrasse und herrlicher Aussicht in Verbindung. - Die heutige Realität sieht anders aus. Sie besteht aus einem Verpflegungsposten mit einigen durchgefrorenen Helfern. Die Aussicht ist gleich Null, der Wind empfindlich kalt. Ich merke erst, dass dies bereits die Planplatten war, als die Wanderwegweiser nach hinten zeigen.



Planplatten – Brünig
Ich versuche möglichst wenig stehen zu bleiben und verpflege mich deshalb unterwegs. Bei den Posten lade ich den Abfall ab und fasse neue Gels und ein Stück Brot oder Banane. Das Wetter ist nicht sehr durstig, ich versuche aber trotzdem möglichst viel zu trinken. Zwischendurch werfe ich Magnesium-Pulver ein, um der Krampfbildung vorzubeugen.

Ich weiss nicht, wie viele Weidezäune ich dieses Jahr schon passiert habe. Nie habe ich einen Stromschlag abbekommen. – Bis heute. Alle guten Dinge sind drei. Und so hole ich dann heute auch gleich dreimal einen kurzen Input vom Viehhüter.

Bei Käserstatt ein paar Meter Geborgenheit, da die Strecke mitten durch die Seilbahnstation führt. Dann folgt der Anstieg zum Gibel. Diesen Punkt habe ich mir gemerkt, da nachher der 1‘100Hm Downhill zum Brünig folgt. Kurz vor dem Gibel überhole ich den „flucht-nach-5km-wegen-Dreck“-Läufer, welcher mit Beinkrämpfen stehen bleibt. Tja, negative Gedanken bringen in einem Ultra (oder auch allgemein) einfach nicht viel. Eine nette Läuferin kümmert sich um ihn und ich ziehe weiter.

Der Downhill zum Brünig hat es dann schon in sich. Gut laufbare Naturstrassen wechseln sich ab mit Dreck-Rutschbahnen. Zwischendurch habe ich das Gefühl, die Kuhfladen bieten am meisten Grip. Meine „Komperdell Carbon Ultralight Vario 4“-Stöcke retten mir wieder mal den Arsch. Ich weiss nicht, wie ich ohne diese durch den Matsch balancieren könnte. Ich denke: „Diese Stöcke haben sich in den letzten Monaten wirklich amortisiert.“ – Ein folgenschwerer Gedanke wie sich herausstellen sollte. Gedanken schaffen Wirklichkeit!



Die nette Läuferin vom Gibel hat zu mir aufgeschlossen und wir laufen bis fast zum Brünig gemeinsam. Bergab habe sogar ich Luft zum plaudern. Sie wohnt lustigerweise ganz bei mir in der Nähe. Beim letzten Berglauf hat sie sich geschworen, nie wieder so im Matsch/Dreck zu laufen. (Für mich tröstlich, dass auch andere Läufer unter temporärem Gedächtnisverlust leiden und sich trotz irgendwelchen Schwüren während dem Rennen, wieder für das nächste anmelden). Es ist ihr erster Ultra-Marathon und ich finde, sie hat es tiptop getroffen. Heute kommt der Adventure-Faktor definitiv nicht zu kurz!

Auf dem Brünig bin ich super zufrieden. Ich fühle mich gut und trotz misslichen äusseren Bedingungen, bin ich rund 45 Minuten früher als geplant hier. Ein Betreuer drückt mir gleich meinen Dropbag in die Hand. Top-Service. Ich glaube, das Wetter wird am Nachmittag besser und entscheide am Oberkörper trockene Sachen anzuziehen und die Handschuhe im Rucksack zu verstauen. Dann Rucksack mit Gels auffüllen. Selfie-Foto knipsen lassen (Ist es ein Selfie, wenn man es nicht selber macht?). Und weiter.

Auf dem Brünig: Shirt gewechselt - Stimmung gut
Endlich wieder mal auf der Brünig-Passhöhe. Früher war das der höchste Punkt unseres Sonntagsausflugs. Heute ist es der tiefste Punkt des Rennens.


Brünig – Schönbüel
Die Lebensweisheit „Wenn es runter geht, geht es einmal auch wieder hoch“, gilt natürlich auch bei Ultra-Marathons. Und so geht es vom Brünig gleich wieder 1‘100Hm hoch nach Schönbüel. (Nur dass ich es erwähnt habe: Da war ich auch noch nie). Irgendwie habe ich das Gefühl, wenn es im Leben aufwärts geht, fühlt es ich einfacher an, als wenn es hier aufwärts geht.

Nun sind wir ungefähr bei halber Strecke. Ab hier liefere ich ein Hase-Schildkröte-Rennen mit Peter. Beim Brünig-Verpflegungsposten habe ich ihn überholt, als er die Schuhe gewechselt hat. Nun im Aufstieg überholt er mich wieder. Beim nächsten Verpflegungsposten überhole ich und so weiter und so fort. Der Hase (Jahrgang 1962) gewinnt schlussendlich mit vier Minuten Vorsprung. Die Schildkröte hat noch 15 Jahre Zeit, um ein Hase zu werden!

Es ist nun nach Mittag und ich überhole einige Wanderer, die sich vom Wetter nicht abhalten lassen. Mein erster Gedanke: „Nein, die machen das wirklich freiwillig!“. Der Blick auf den Brienzersee bis Interlaken entschädigt und holt mich in die Realität zurück. Ich mache das ja auch freiwillig. Den Eiger sieht man heute nicht. Aber die Erinnerung, dass ich vor vier Wochen auf der anderen Seite des Brienzersees durch die Berge geschlichen bin, heitert mich auf. Und heute funktionier es ja tiptop. Noch keine Krämpfe, Füsse, Beine, Ausrüstung, Verpflegung alles in Ordnung! – Dann nach 6h15‘ das 40km Schild. Halbe Strecke! Ab jetzt läuft der Zähler rückwärts.

Brienzersee - Interlaken - Thunersee (hinten)

Beim Verpflegungsposten Schönbüel glaube ich, das Gröbste überstanden zu haben und gönne mir ein Stück Schoko-Kuchen. Dieser ist so gut, dass ich fast nochmals zurück laufe um ein zweites Stück zu holen.




Schönbüel – Langis
Das Wetter bessert sich leider nicht wirklich und teilweise ist es empfindlich kalt. Mir geht es aber gut und ich bin in Angriffslaune. Auch ein kleiner Ausrutscher im Downhill Richtung Glaubenbielen bremst mich nicht. - Leider. – Beim zweiten Ausrutscher falle ich auf den rechten Stock. Dass ich diesen als amortisiert betrachtet habe, nimmt er anscheinend persönlich. Mit einem trockenen Knacken bricht er in zwei Teile. Shit happens! – Meine Angriffslust ist nun augenblicklich therapiert! Zur Strafe darf ich den defekten Stock nun noch 5km (1 Stunde) bis zum nächsten Kehrichtsack auf dem Glaubenbielen tragen.

Materialbruch
Das Höhenprofil sieht ab hier bis zur Lütoldsmatt ziemlich unspektakulär aus und erinnert an meine Jura-Trainings. Auf der Karte kann man aber viele kleine blaue Linien erkennen. Das sind Moorlandschaften. Und im August 2014 ist das eine ziemlicher „Moorerei“. Mit nur mehr einem Stock geht es nicht gerade einfacher und es ist ziemlich zermürbend. Irgendwann habe ich keine Lust mehr und der übliche innere Dialog geht los: „Ich höre auf. – Gut, was mache ich dann? – Ich reiss mir die Startnummer runter und laufe weiter bis zum nächsten Posten. – Okay, dann kann ich ja die Startnummer auch dran lassen und zum nächsten Posten laufen. – Okay, ich mach doch noch weiter!“

Wo setze ich den nächsten Schritt?
Beim Verpflegungsposten Sattelpass läuft die „nette Läuferin“ vom Brünig-Downhill wieder von hinten auf. Ich freue mich sie zu sehen und denke, dass sie vor mir auf dem Pilatus stehen wird. Bis zum Langis laufen wir dann noch ein Stück zusammen und nachher gibt es ebenfalls ein „Hase-Schildkröte-Rennen“ bis zum Pilatus. Diesmal darf ich mal der Hase sein.

Das Langis kenne ich noch von den Töfftouren vor 15 Jahren. Schön wieder mal hier zu sein. Leider gibt es kein Cola an diesem Verpflegungsposten und so mache ich mich sofort auf die letzten 20km.

Langis - Lütoldsmatt
Kaum bin ich 50m marschiert beginnt es zu regnen. Diesmal ziemlich stark und ich gebe die Hoffnung auf eine Wetterbesserung heute auf. Deshalb halte ich an und meine Regenjacke kommt zu ihrem ersten richtigen Einsatz. Ich ziehe auch gleich wieder die Kappe an und die Handschuhe stecke ich vorsichtshalber schon mal ins Aussenfach. Ich hätte sie auch gleich anziehen können, denn es wird nun so kalt, dass fünf Minuten später, zwei Wanderinnen bitte, mir die Handschuhe von hinten rauszugeben. Das machen sie dann auch gerne und ich fühle mich gleich viel wohler.



Was kann man sonst noch machen, an so einem verregneten Samstag? – Zum Beispiel heiraten! Kurz nach dem Langis laufe ich mitten durch einen Hochzeits-Apéro im Regen. Ich frage mich, was bei diesem Wetter schlechter ist. Trail-Running oder Hochzeit. Ich entscheide mich für Hochzeit. Trail-Running ist immer besser!

Aufgrund der Terrainverhältnisse, wurde die Streckenführung entschärft und wir müssen nicht über den Schlierengrat. Das heisst die nächsten paar Kilometer geht es ziemlich flott auf Asphalt- und Naturstrassen. Ich habe Freude, dass ich nach rund 65km immer noch im Laufschritt über die Flachstücke traben kann.

Zwischendurch habe ich das Gefühl, dass ich von der Strecke abgekommen bin. Ich sehe weder vor mir, noch hinter mir andere Läufer. Die Strecke ist hier auch nicht sehr streng markiert. In einem schlammigen, nebligen Waldstück komme ich mir mit meinem einzelnen Stock ein bisschen vor wie Hape Kerkeling auf dem Jakobsweg.

Der Pilatus ist noch weit weg.
Dann kommt die 10km-Tafel. Freude herrscht! – Allerdings geht es immer noch bergab und mir wird bewusst, dass ich jeden dieser Meter wieder hochgehen muss. Leider habe ich das Blatt mit dem Höhenprofil auf dem Brünig liegen lassen und ich hab mir nicht eingeprägt, wie hoch der Anstieg zum Pilatus ist. Ich bin der Meinung es müssten so 600 – 700Hm sein. Andererseits steht hier auf einem Wegweiser eine Höhe von 1180m und ich bin sicher, der Pilatus ist mehr als 2000m und somit wäre der letzte Anstieg so 900 bis sogar über 1000Hm.- Ich realisiere, dass noch ein richtiges Stück Arbeit vor mir liegt.

Lütoldsmatt - Pilatus 
Dann beginnt der Anstieg. Die Sonne kommt nun endlich hervor und ich bekomme richtig warm. Soll ich die Jacke ausziehen? – Ich habe keine Lust und lasse es zum Glück bleiben. Bald komme ich in den Wald und sobald ich im Schatten bin, wird es wieder frisch. Der Tag neigt sich langsam zur Neige.

Die 5km-Tafel steht am Wegesrand. Es zählen aber nicht mehr die Kilometer, sondern nur noch die Höhenmeter. Weiter vorne sehe ich, wie Peter einen anderen Läufer überholt. Den will ich auch noch schnappen. Dann die letzte Verpflegungsstation bei der Fräkmünt. Der Läufer vor mir hält nicht an. Ich nehme das letzte Gel und spüle mit einem Becher Cola. Ich frage nach den Höhenmetern. Die Antwort: „Noch rund 500. In knapp einer Stunde bist du oben, wenn du zügig gehst!“ – Meine Uhr zeigt 19:06 Uhr. Ich bin seit 12h 20‘ unterwegs. Also, bringen wir das Ding zu Ende.

Dort oben ist das Ziel
Meinen verbleibenden Stock setze ich abwechselnd links und rechts ein. So geht es Meter um Meter aufwärts. Ich überhole den Läufer vor mir bei der letzten Alphütte.  Noch rund 400 Höhenmeter. Auf dem Pilatus brennen bereits die Lichter und ich kann den Speaker am Ziel hören. Ich kann auch einige Läufer beobachten, wie sie sich durch die letzten Serpentinen hochziehen.

Der Blick hoch zum Pilatus

Dann das letzte kurze Flachstück. Ein Fotograf „lauert“ uns dort auf. Noch 250 steile Höhenmeter. Mir geht es gut und ich habe noch Energie. Ich schaue auf die Uhr. Tatsächlich, es ist noch keine Stunde vergangen und ich kann vor 20:00Uhr im Ziel sein. Das spornt mich an. Ich kann nun die Namen verstehen, welcher der Speaker beim Zieleinlauf runterliest. Dann bin ich oben. Vereinzelte Zuschauer klatschen, als ich über die Betontreppen zum Zielbogen hochsteige. Die letzten Meter im Laufschritt. 13 Stunden, 11 Minuten, 17 Sekunden. - Es ist vollbracht! Ich habe meine Saisonziele erreicht! Ich kann mich Ende Jahr für den Ultra Trail Mont Blanc bewerben! Yesssssssssssssss!

Im Ziel zeigt sich ein Regenbogen. Wenn das kein Zeichen ist!

Fazit
Der Mountainman ist ein super Lauf. Schöne Strecke, gut organisiert, gute Stimmung. Durch die nassen Terrainverhältnisse war es halt manchmal etwas wie am „Survival Run“. Das muss man aber in Kauf nehmen, sonst läuft man besser Stadtmarathons.

Wie in jedem Ultra hatte ich meine Tiefpunkte. Schlussendlich war aber der Finish nie ernsthaft gefährdet. Ich laufe solide, aber einfach noch zu langsam. Mit regelmässigerem und intensiverem Training, kann ich hier sicher noch einiges herausholen.

Stolz bin ich auf meinen Muskelkater. Der ist nämlich sehr ausgewogen (Arschbacken, Oberschenkel vorne und hinten, Waden) und auch total symmetrisch (links/rechts). Ich glaube die Dehn- und Kräftigungsübungen der letzten Wochen zahlen sich langsam aus. Alles gleichmässig belastet, nichts total überbelastet!

Die Ausrüstung war wieder tiptop. Nur der Trabuco 2-Laufschuh macht mir Druckstellen auf dem Rist, welche ich dann noch mehrere Tage spüre. Hier muss ich einen besseren Schuh für lange Strecken finden.

Das läuferische Selbstvertrauen ist nochmals gewachsen und ich freue mich riesig auf den Sardona Trail Halbmarathon, welchen ich mit meinem Studienfreund Steff Zweifel gemeinsam laufen werde. Just for fun!

Hase und Schildkröte


Dienstag, 22. Juli 2014

Eiger Ultra Trail 2014

Vorbereitung
Ich war mir schon bewusst, dass ich bei diesem Lauf, betreffend Dauer und Anforderungen, Neuland  betreten würde. Andererseits habe ich nie gezweifelt, dass ich die Herausforderung erfolgreich bewältigen könnte. Ich war davon ausgegangen, dass ich zwischen 20 und 24 Stunden benötigen würde.

Da unsere Jungs bei Omi und Neni in den Ferien waren, nutzten Silvia und ich die Gelegenheit für einen Kurzurlaub zu Zweit. Am Dienstag Nachmittag sind wir also bereits nach Grindelwald angereist. Die steilen Berghänge haben mich ziemlich beeindruckt. Bei der Durchfahrt in Burglauenen war mir zwar gleich klar, wo ich die Hauptstrasse überqueren würde, der Weg vom Berg runter und auf der anderen Seite wieder rauf, konnte ich mir aber nicht vorstellen. Das sah beidseitig so unpassierbar aus.

Mittwoch und Donnerstag waren dann gemütlich und wir haben sogar das letzte Streckenstück auf die Pfingstegg abgewandert. Irgendwie habe ich in dieser Phase etwas den Respekt verloren. Ich hab mir einen Zeitplan gemacht und wollte vor Mitternacht, das heisst nach spätestens 19.5 Stunden im Ziel sein. Für mich war alles klar und die einzige Sorge, ob es am Samstag Abend ein Gewitter geben würde – Wie kann man nur so naiv sein?

Streckenerkundung mit Silvia (Gletscherschlucht)
Am Freitag Morgen haben wir dann die Startnummer abgeholt und die Ausrüstung kontrollieren lassen. Ich habe mir noch Sponsor-Energie-Gels gekauft um den Geschmack und die Verträglichkeit zu testen. Eigentlich wollte ich diese Gels nicht nutzen und mich mit meinen eigenen Powerbar-Gels verpflegen. Gemäss meiner Erfahrung, hatte ich bis jetzt sowieso immer zu viel Verpflegung dabei. (Wenn man Neuland betritt, können sich Erfahrungen ändern!). Bis zum Briefing um 19:30 Uhr war dann relaxen im Schatten angesagt. Beim Briefing nicht viel Neues. Die Wetterprognose verspricht einen heissen Tag. Gewitter sind nicht ausgeschlossen, es herrscht aber vorsichtiger Optimismus. Nach dem Briefing gibt noch ein Mehrgang-Menü im Hotel, bevor es endlich ins Bett geht. – An Schlaf ist natürlich nicht zu denken. Typische Wettkampf-Nervosität.

Um 3:00 Uhr geht der Wecker und ich stehe erstaunlich gut auf. Alles liegt bereit und ich tape die neuralgischen Stellen, ziehe mich an, verabschiede mich von Silvia und mache mich auf den Weg zum Start. – Trotz frühen Morgenstunden ist es schon sehr warm und ich merke, dass das Kurzarm-Tenü völlig ausreicht. Ich gebe meinen Drop-Bag für Burglauenen ab und drücke mir zum Frühstück den ersten Gel rein. Auf die gekauften Brötchen und den Comella-Drink habe ich keine Lust.

Höhenprofil

Alles easy - (Start – Grosse Scheidegg)
Ich stelle mich rechtzeitig in die Startbox und reihe mich so im hintersten Drittel ein. Die letzten Minuten vor dem Startschuss um 4:30 Uhr sind dann sehr emotional für mich. Die EUT-Hymne wird gespielt und vor mir verabschiedet sich eine junge Mutter mit dem Säugling von ihrem Mann/Vater. So lange hatte ich mich auf diesen Moment vorbereitet, nun war es endlich soweit. Mir kommen fast die Tränen vor Rührung. - Dann geht es los. Ganz ohne Hektik, alle (zumindest hinten im Feld) haben ganz viel Zeit. Ausgangs Dorf schalte ich meine Stirnlampe an, bald geht es auf Singletrails und das ganze Feld läuft in Einerkolonne. Bei einer engen Brücke gibt es einen Stau, da dies am Briefing angekündigt wurde, nehmen es alle locker. Als der Weg breiter wird, kann ich zu Martin Zwahlen aufschliessen. Er hat einen Startplatz am Ultra Trail Mont Blanc 2014 und nutzt den EUT als Vorbereitungstraining. Wir unterhalten uns ein wenig und fotografieren uns gegenseitig mit Eiger-Hintergrund auf der Grossen Scheidegg.

Grosse Scheidegg im Gegenlicht der aufgehenden Sonne 
Strecke Etappe:       7.7 km
StreckeTotal:           7.7 km
Hm Etappe:             +1‘100 m / -150 m
Hm Total:                 +1‘100 m / -150 m
Zeit Etappe :             1:45 h
Zeit Total:                 1:45 h


Immer noch alles easy - (Grosse Scheidegg – First – Bort – First)
Die Verpflegung ist gut organisiert und trotz „Rudelbildung“ geht es effizient. Im Osten geht gerade die Sonne auf und ich freue mich auf das recht flache Stück rüber zur First. Endlich sind ein paar Meter im Laufschritt möglich. Ich versuche regelmässig und genügend zu trinken und so alle 45 Minuten einen Gel zu konsumieren. Die Stirnlampe habe ich inzwischen gegen die Sonnenbrille getauscht.

Die First erreiche ich genau nach meinem Zeitplan nach 2:30h. Jetzt kommt der erste steile Downhill nach Bort (-650m). Der geht schon mal in die Muskeln und gibt eine Ahnung, was noch kommen soll. In Bort fülle ich die Flaschen wieder und mache gleich noch eine Pinkelpause, da es dort ein offizielles WC hat. Dann gleich wieder in den Uphill-Modus wechseln und wieder hoch zur First. Jetzt ist das Feld schon ziemlich aufgelöst und ich muss mein eigenes Tempo finden. Ich orientiere mich an der Pulsuhr und bleibe stets leicht unter 170 BPM. Im Nachhinein würde ich sagen, da hätte ich es vielleicht etwas langsamer angehen sollen. Jedenfalls bin ich immer noch perfekt in meinem Zeitplan, als ich zum zweiten Mal auf der First stehe. Flaschen füllen und weiter.

Strecke Etappe:       15.0 km
Strecke Total:          22.7 km
Hm Etappe:              +950 m / -750 m
Hm Total:                 +2‘050 m / -900 m
Zeit Etappe :             2:10 h
Zeit Total:                 3:55 h


Voll im Plan - (First – Faulhorn)
Es folgt ein eher einfaches Teilstück mit leichten Auf- und Abstiegen bis zum nächsten Verpflegungsposten bei der Oberläger Bussalp. Malerisch ist die Passage am Bachsee. Hier hat es nun einige Wanderer auf der Strecke, die Wege sind aber breit und die Passage deshalb kein Problem. Hier werde ich von den ersten E51-Läufern überholt. Die sind zwar 2.5h später gestartet, mussten aber die Schlaufe nach Bort nicht laufen. Bei mir alles im grünen Bereich. Ich geniesse den Lauf und den Tag.

Am Bachalpsee

Auf der Oberläger Bussalp fülle ich beide Flaschen voll auf, da es auf dem Faulhorn kein Wasser zum mitnehmen gibt. Dann geht es in den 650m-Anstieg zum höchsten Punkt der Strecke. Mein Plan war um 11:00Uhr auf dem Faulhorn zu sein. Datasport stoppt mich dort um 10:50Uhr. Perfekt! Höchster Punkt erreicht! Das Leben ist schön! Zur Feier gibt es zwei Becher Cola und ein Stück Brot.

Faulhorn in Sicht
Mein Plan sieht nun den Abstieg bis nach Burglauenen (2100m auf knapp 20km) in rund zwei Stunden vor.

Strecke Etappe:       10.4 km
Strecke Total:           33.1 km
Hm Etappe:              +1000 m / -500 m
Hm Total:                 +3‘050 m / -1‘400 m
Zeit Etappe :             2:25 h
Zeit Total:                 6:20 h


Der Plan löst sich auf - (Faulhorn – Schynige Platte)
Landschaftlich ist nun besonders schön, da man links das Panorama von Eiger, Mönch und Jungfrau hat, und rechts den Thuner- und den Brienzersee. Es gäbe also viel zu sehen, müsste man sich nicht auf die nun teilweise ziemlich tricky Wege konzentrieren. Zudem hat es viele Überholer (E51) und viele Wanderer. Die Wege sind eng und es hat viele Steine, Stufen, Geröll etc.. Ich hänge mich an eine Läuferin, welche den linken Unterarm anscheinend gebrochen hat. Ihre Pace passt perfekt für mich, und ich bewundere, dass sie das ohne Stöcke läuft. Ich nehme diese praktisch jeden Meter zu Hilfe.

Blick auf Interlaken und Thunersee
Langsam werden die Beine etwas müder und ich überlege mir, wie viel Gas ich hier geben darf, damit ich mich nicht zu sehr verausgabe oder einen Misstritt machen könnte. Kurz vor der kleinen Verpflegungsstation Egg, stürzt meine Pacemakerin und ich mache mir Sorge, dass sie das Rennen aufgeben muss. (Sie überholt mich dann 4km vor dem Ziel wieder, die Sorge war also zum Glück unbegründet. Unglaublich mit gebrochenem Arm).

Der Blick auf die Uhr lässt meinen Zeitplan zur Makulatur werden. Silvia wartet in Burglauenen auf mich, muss aber dort um 13:27 Uhr den Zug nach Hause nehmen. Ich wollte um 13:00 Uhr dort sein. Nun ist es 12:45 Uhr und ich bin noch nicht mal auf der Schynigen Platte. – Ironie des Schicksals: Ich bin genau bei der Marathon-Distanz. Ab hier beginnt der Ultra-Marathon. Und hier habe ich meine erste mentale Krise. Irgendwie dämmert mir, dass der Tag noch lange ist und die Nacht noch viel länger werden könnte.

Während ich bei den vorhergehenden Verpflegungsposten jeweils möglichst rasch weiter gezogen bin, nehme ich mir hier auf der Schynigen Platte Zeit. Ich telefoniere kurz mit Silvia und sage ihr, sie solle nicht auf mich warten. Das macht mich etwas traurig, da sie mich zum ersten Mal live während eins Laufes gesehen hätte. Dann trinken und essen (Pommes Chipes) und etwas absitzen. Ich habe das Gefühl, auch bei anderen Läufern hat das Leiden inzwischen eingesetzt. Als ich nicht mehr essen und trinken mag, muss ich wohl oder übel weiter. Mit Sitzen alleine gewinnt man kein Finisher-Shirt.

Strecke Etappe:       10.9 km
Strecke Total:          44.0 km
Hm Etappe:              +250 m / -800 m
Hm Total:                 +3‘300 m / -2‘200 m
Zeit Etappe :             2:10 h
Zeit Total:                 8:30 h


Jetzt wird es hart - (Schynige Platte – Burglauenen)
Ich hänge mich hinter ein Lauf-Paar mit Basler-Dialekt. Pace ist tiptop in diesem langen und steilen Downhill. Die beiden laufen extrem locker und plappern dauernd etwas zusammen. Mir ist das plappern vergangen und ich konzentrier mich einfach drauf, keinen Misstritt zu machen. Meine Stimmung ist immer noch gedrückt obwohl es mir körperlich eigentlich sehr gut geht. Die Füsse machen keine Beschwerden, Muskeln sind okay, sonst keine Schmerzen (Knie, Hüfte, Rumpf, Schultern, oä.). – Was jammere ich mir eigentlich innerlich eins vor???

Der Abstieg ist aber einfach nur steil und technisch anspruchsvoll. Zwischendrin gibt es dann auch noch einen giftigen kurzen Gegenanstieg und Burglauenen will einfach nicht näher kommen. Trotzdem wird die Wand auf der gegenüberliegenden Talseite immer höher. Da müssen wir nachher rauf!

Irgendwann überhole ich dann „Team Basel“ und was nun folgt, wird sich auf den nächsten 25km mehrmals wiederholen. Sobald ich vorne liege, bekomme ich Krämpfe und komme nicht mehr richtig vorwärts. Die beiden überholen wieder und mir geht es wieder besser. Ich vermute einen Voodoo-Zauber und die nette Dame bekommt auf dem Lauberhorn offiziell den Übernamen „Voodoo-Girl“.

"Halbzeitpause" in Burglauenen nach 10 Stunden 
Dann um 14:25 Uhr laufe ich doch noch in Burglauenen ein. Silvia ist schon eine Stunde weg und ich weiss nicht recht, was ich mit mir anfangen soll. Ich deponiere Rucksack und Stöcke und hole mir mal ein Stück Wassermelone. Dann hole ich mir meinen Dropbag und schaue mal was ich davon brauchen kann:
-Energie-Gels: sofort alle in den Laufrucksack umladen
-Knoppers: eines essen, die restlichen bleiben im Dropbag (mag nicht essen)
-Ersatz-Laufshirt: wechsle ich, damit ich etwas zu tun habe
-Sonnencrème: brauch ich nicht. Der Himmel ist leicht bedeckt und ich bin eh so dreckig, dass die Sonne nicht mehr auf die Haut kommt.

Ich nutze die Gelegenheit und mache noch einen Halt auf dem Toitoi. Dann finde ich keinen Zeitvertreib mehr und muss wohl oder übel weiter. (Hab ich schon erwähnt, dass man mit Sitzen kein Finisher-Shirt gewinnt?)


Strecke Etappe:       8.5 km
Strecke Total:          52.5 km
Hm Etappe:              +150 m / -130 m
Hm Total:                 +3‘450 m / -3‘500 m
Zeit Etappe :             1:25 h
Zeit Total:                 9:55 h


Und noch härter – (Burglauenen – Wengen)
Für mich verändert sich nun die Charakteristik des Rennens. Die E51-Läufer laufen nun durchs Tal direkt nach Grindelwald zurück. Wir E101-Läufer machen uns alleine wieder auf den Weg in die Höhe. Es gibt für uns keine Hektik mehr. Jeder läuft nun nur noch für und gegen sich.

Perfektes Timing von mir (ironisch). Als ich den Verpflegungsposten verlasse, senkt sich am Bahnübergang die Barriere. Der Sicherheitsposten fordert mich aber auf, noch drüber zu gehen, da der Zug noch weit weg sei. Danke! Gleich eine Minute eingespart!

Es folgen nun 750m Austieg, wo es eigentlich gar keinen Weg geben kann. Das Highlight ist eine Passage auf einem Gitterrost, welcher an eine Felswand befestigt ist. Nur Rost, Fixseil und Abgrund! – Nun kommen die Krämpfe bereits im Aufstieg. Manchmal verhärten sich die Waden, dann wieder die Oberschenkel. Ich mache kurze Pausen und zwinge mich dann, jeweils einen Gel runter zu spühlen. Favorit sind nun die salzigen Gels, welche leider nicht so toll schmecken.

Aufstieg
Das Problem bei solchen Ultra-Geschichten ist die Energieversorgung. Entweder der Magen ist voll und du hast Energie, dafür ständig einen leichten Brechreiz, oder der Magen fühlt ich gut an, da leer, dafür aber keine Power in den Beinen. Dilemma! – Essen mag man natürlich auch nicht mehr wirklich, wenn es einem immer leicht Übel ist oder wird. – Zum Glück wurden wir von unseren Müttern in der Kindheit darauf konditioniert, dass Cola bei Übelkeit das Beste ist. So ist dann die schwarze Medizin das Verpflegungsposten-Highlight und hat schon manchen Ultra-Läufer gerettet. Und während der immense Zuckergehalt beim Genuss vor dem TV nur fett und träge macht, gibt er dem Läufer die Energie um noch ein Stückchen weiter zu kommen! Danke Cola, danke Mama!

Irgendwann überholt mich dann „Voodoo-Girl“ und es bessert mit den Krämpfen. Auch dieser Aufstieg ist einmal zu Ende und wird natürlich nahtlos von einem Abstieg abgelöst. Unglaublich, wir steigen nun 400m nach Wengen ab, trinken 2 Becher Cola und steigen dann wieder 1000m auf den Männlichen hoch! – (Wenn ich mir das während dem Rennen überlegt hätte, wär das wohl das Ende gewesen.)

In Wengen dann die Gewissheit. Urs Jenzer hat das Rennen inzwischen gewonnen. Der Sieg liegt für mich nicht mehr drin. J - Mein eigentliches aktuelles Problem ist aber die 1000m-Wand zwischen Wengen und dem Männlichen. Mein Trost: Wenn ich da rauf komme, sind zum einen die Chancen auf den Finish schon ziemlich gut. Zum Anderen gäbe es von dort eine direkte Bahn nach Grindelwald. Fazit: Ich muss da rauf!

Strecke Etappe:       8.8 km
Strecke Total:          61.3 km
Hm Etappe:              +750 m / -400 m
Hm Total:                 +4‘200 m / -3‘900 m
Zeit Etappe :             2:30 h
Zeit Total:                12:25 h


„Die 1000-Meter-Wand“ – (Wengen – Männlichen)
Ich packe meine Stöcke wieder und watschle los. Was denkt man sich in so einer Situation?
1.) Druck wegnehmen. Wenn ich ausgeruht wäre, würde ich den Aufstieg in rund 1.5h bewältigen. Ich muss das aber nun nicht schaffen. Es ist jetzt 17:10 Uhr. Um 20:00 Uhr will ich da oben sein. Ich habe alle Zeit der Welt!
2.) Ich kann stolz sein. Mein längster Lauf bis jetzt waren die 100km von Biel mit 10:37h. Jetzt bin ich schon über 12 Stunden unterwegs und bewege mich immer noch vorwärts. Ich erweitere meine Komfortzone. (Fürs Protokoll: Ich erweitere nicht meine Komfortzone, sondern verschiebe lediglich meine Grenzen. Mit Komfort hat das definitiv noch nichts zu tun!)

Dort oben ist der Männlichen. Es sind nur noch 1000m. Allerdings vertikal gestapelt! 
Ich glaube Ultra-Lauf hat mehr mit Erfahrung als mit schierem Willen zu tun. Nach einer Stunde Aufstieg sind nämlich die Krampferscheinungen nichts Neues mehr und ich weiss, dass ich trotzdem weiterlaufen kann. Pause machen, Gel spühlen, weiter! Auch den anderen Läufern geht es etwa ähnlich. Man überholt, pausiert, wird überholt, überholt wieder, ….

Nicht nur ich habe Mühe, auch meine Garmin Fenix hat sich inzwischen aufgehängt. 50 Stunden sollte diese laufen, jetzt ist sie eher tot als ich. Die 80 Franken Pulsuhr läuft wenigstens noch. Und Freude macht mir mein Iphone. Wenn man Standortdienste, Mobile Daten, WLAN und Blootooht auschaltet, dann kann das Ding zwar nicht mehr viel mehr als ein Nokia 3310, dafür hält der Akku wohl eine Woche durch! Und für ein paar Fotos reicht es auch noch.

In den Lawinenverbauungen
Wettertechnisch macht es nun etwas zu. Im Westen sehe ich bereits Wolken die sich ausregnen. Ich glaube das grosse Gewitter wird ausbleiben, aber nass könnte es werden. Der OK-Präsident Ralph Näf steht nicht etwa an der Ziellinie in Grindelwald. Er hat sich mit einem Metorologen in den Lawinenverbauungen am Männlichen platziert, wo sie die Wetterentwicklung am Besten beobachten und allfällige Massnahmen ergreifen können. Ein Chef der dort steht, wo im wahrsten Sinne die Kanonen donnern. – Der Donner bleibt dann aber aus, ein erfrischender Regen setzt für 10 Minuten ein, und als dieser vorüber ist, stehe ich auf dem Männlichen. Eine Stunde und fünfundfünfzig Minuten. Ich war viel schneller als ich für möglich gehalten hätte! – Strike!

In der Verpflegungszone wird gerade die Postenchefin vom Schweizer Fernsehen gefilmt. Sie nimmt mich gleich in Beschlag und will wissen, ob ich Wasser auffüllen will. Ich bin ob der Fürsorge völlig überfordert und meine sie ist eine Ärztin, welche mich aus dem Rennen nehmen will. Es ist aber alles in Ordnung und ich will einfach etwas Ruhe. Ein freudiges Wiedersehen mit Team „Voodoo-Girl“, dann Cola, dann Gel bunkern, dann Flaschen füllen, dann weiter. (Dummerweise vor Team „Voodoo-Girl“)


Strecke Etappe:       6.5 km
Strecke Total:          67.8 km
Hm Etappe:              +1‘250 m / -200 m
Hm Total:                 +5‘450 m / -4‘100 m
Zeit Etappe :             1:55 h
Zeit Total:                 14:20 h


Aufgabe und Comeback – (Männlichen – Kleine Scheidegg)
Jetzt käme die Strecke zum Tempo machen. Schöne breite Strasse, leicht abfallend Richtung Kleine Scheidegg. Leider macht meine Muskulatur keinen Laufschritt mehr mit. Mein Ziel, noch bei Tageslicht über die Lauberhornschulter kommen und den Hundschopf sehen. Eile mit Weile ist angesagt.

Bei der Überquerung eines kleinen Bachs passiert es dann. Ich stolpere beim balancieren über die Steine und augenblicklich habe ich brutale Krämpfe in beiden Beinen! Insbesondere der linke Oberschenkelmuskel hinten macht komplett zu. Schmerz und Lähmung! Ich humple an den Wegrand und setze mich ans Bort. Sinnkrise! – Der nächste Läufer fragt mich, was ich habe. „Krämpfe“- „Hast Du was dabei zum nehmen?“ – „Nein“ (War ja auch nicht abzusehen, dass ich Krämpfe bekommen könnte) – „Hier, ich hab das schnellst wirkende Magnesium dabei. Nimm gleich drei Portionen“ – „Danke“ – „Das wirkt am schnellsten! Jetzt wirst du natürlich nichts merken, aber in zwei Stunden spürst du die Wirkung bereits. Tschüss!“

Toll! In zwei Stunden ist alles wieder gut! Also alles kein Problem! – Wieso mache ich das? Wegen den Quali-Punkten für den UTMB? Wieso will ich denn an den UTMB, wenn ich nicht mal den EUT schaffe? – Jetzt ist ein klarer Entschluss gefordert: „Ich gebe auf. Ich schlepp mich zur Kleinen Scheidegg und nehme die Bahn nach Grindelwald. Dann ins Auto und ab nach Hause. Jetzt ist vor 20:00 Uhr, vor Mitternacht kann ich also zu Hause sein!“

Mein innerer Film läuft weiter: „Wie erkläre ich Silvia um Mitternacht zu Hause, dass es nicht geschafft habe, wenn der Zielschluss erst um 8:30 Uhr ist und ich es aber selber bis nach Hause geschafft habe?“ – Dilemma. – Okay, ich geb auf, aber nicht kampflos. Ich mache weiter, bis ich eine Cutoff-Zeit verpasse. Das ist heldenhafter.

Wie bekomme ich nun den Krampf im Oberschenkel los? (Ausser durch 2 Stunden warten?) – Ich muss ihn ja gar nicht loswerden. Gehen kann ich zwar so nicht mehr, aber humpeln geht ja noch. Das ist dann aber so mühsam, dass es sogar dem Krampf zu viel wird und nach 30 Metern löst er sich und es geht wieder im Marschtempo weiter. Unglaublich! Wieder eine Erfahrung reicher.

Dann weist ein freundlicher Mann von der Bergwacht den Weg zur Lauberhornschulter. Wie viel Aufstieg? Ist mir egal, ich werde es schaffen. Bergauf bin ich nämlich auch gar nicht mehr langsam. Team „Voodoo-Girl“ überholt mich (zum letzten Mal), wir laufen gemeinsam aufwärts und die Welt ist wieder in Ordnung. Die Sonne neigt sich dem Horizont zu, eine malerische Stimmung will aufkommen, da wummt uns ein satter Bass entgegen. Ein paar Jungs feiern Technoparty beim Lauberhorn-Starthaus. Aufstieg geschafft und gleich wieder Abstieg. Würde im Winter mit den Skiern sicher mehr Spass machen. Russi-Sprung, nachher Hundschopf. Ein Bergwacht-Mann macht ein Foto von mir an dieser Stelle. Dann Abstieg auf die Wengener-Alp, dann gleich wieder sanfter Aufstieg zur Kleinen Scheidegg. Die Pulsgurt hat keine Batterie mehr und die Pulsanzeige bleibt leer. Das stört mich nicht mehr heftig, schade finde ich aber, dass der Kalorienzähler auch nicht mehr läuft. Er ist bei ungefähr 14‘000 stehengeblieben. Geile Zahl! Wie viele BigMacs sind das?

Hundschopf-Selfie
Vor der nächsten Etappe zum Eigergletscher habe ich Respekt. Deshalb bin ich froh, dass der Verpflegungsposten hier im Bahndepot drinnen ist. Jetzt gilt es die „Nachtkampftauglichkeit“ zu erstellen (Stirnlampe, lange Ärmel). Im Depot riecht es nach Öl bzw. Panzerhalle. Sonst ist es aber gemütlich. Ich erschrecke aber ob der Bilder. Einige Läufer sitzen wie tote Fliegen auf den Stühlen. Die Sanitätsprischen sind alle belegt mit Läufern, welche Infusionen stecken haben. Die Massageliegen sind ausgebucht. „Voodoo-Girl“ muss sich leider auch behandeln lassen, da der Rucksack ihr den Rücken wundgescheuert hat.

Ich merke, dass ich nicht der einzige bin, welcher leidet. Das gibt mir Auftrieb. Ich schnappe mir einen Stuhl, trinke einen Becher Cola, grabble die Stirnlampe aus dem Rucksack, schnappe mir zwei Gels und mache mich dann wieder auf den Weg. Warten bringt nichts. (Mit Sitzen holt man ….. -Shirt!)

Food-Station "Kleine Scheidegg"
Strecke Etappe:       10.0 km
Strecke Total:           77.8 km
Hm Etappe:              +400 m / -650 m
Hm Total:                 +5‘850 m / -4‘750 m
Zeit Etappe :             2:15 h
Zeit Total:                 16:35 h


Adventure-Trip - (Kleine Scheidegg – Alpiglen)
Es ist nach 21:00 als ich mich auf die Querung rüber zur Eigergletscher-Moräne mache. Das Tageslicht schwindet und ich schalte die Stirnlampe ein, wie es sowieso gemäss Reglement zu dieser Zeit obligatorisch ist. Drei Franzosen überholen mich, sind dann aber auch nicht mehr viel schneller, als es aufwärts geht. Sensationellerweise bemerke ich nun auf einmal, dass die Krämpfe nun weg sind. Das Zaubermittel (Doppelherz aktiv) wirkt tatsächlich! Nun wird mich nichts mehr aufhalten. Ich beginne wieder mit dem Rechnen. Ich kann es unter 24h schaffen!

Es herrscht nun ein böiger Sturmwind und fegt mich einmal fast von der Moräne. Am Jungfrau-Marathon steht hier der legendäre Dudelsackspieler. Heute pfeift nur der Wind für mich. Vorne die drei Lampen der Franzosen, hinter mir zwei weitere Lampen, oben an der Station Eigergletscher zwei Bergwacht-Leute. Ziemlich einsame Sache hier oben heute Nacht.

Sobald ich auf der anderen Seite der Krete bin, hört der Wind schlagartig auf und es wird wieder so warm, dass ich die langen Ärmlinge nach vorne schiebe. Jetzt bin ich direkt am Fuss der Eigernordwand und komme auf den Eiger-Trail, welcher mich hinunter nach Alpiglen führt. Der Weg ist gut, aber in der Nacht und bei der aktuellen Erschöpfung will ich keine Verletzung riskieren und gehe den Abstieg vorsichtig an. Sensationell ist die Streckenmarkierung auch bei Nacht. Dank Leuchtspray und Glowsticks kann man die Strecke nicht verfehlen. Auch stehen an den neuralgischen Punkten Bergwacht-Leute und ich fühle mich sehr sicher auf der Strecke.

Nächtlicher Abstieg
Über mir sehe ich ein Licht in der Station Eigerwand. Anhand diesem kann ich meinen Fortschritt beim Abstieg am besten beobachten. Es wandert immer höher über mich. Dann tauchen unter mir Lichter auf. Ich frage den nächsten Bergwacht-mann, ob dies Alpiglen ist. Er bejaht und meint ich brauche noch ca. 20 Minuten bis dahin. Im Dunkeln lauert dann auch noch ein Fotograf. Die Leute auf den Posten sind nicht zu beneiden. Ich werde bald in Grindelwald sein, sie müssen noch Stunden bis zum letzten Läufer ausharren.

Um 23:30 treffe ich an der Verpflegungsstation ein. Einen Melonenschnitz bringe ich runter und eine Flasche lasse ich auffüllen. Dann drehe ich mich um und laufe in der falschen Richtung davon.


Strecke Etappe:       8.9 km
Strecke Total:          86.7 km
Hm Etappe:              +300 m / -750 m
Hm Total:                 +6‘150 m / -5‘500 m
Zeit Etappe :             2:25 h
Zeit Total:                 19:00 h


Endspurt - (Alpiglen – Finish)
Die Helfer machen mich auf meinen Irrtum aufmerksam und ich fühle mich etwas dämlich. Anyway, nach 19h auf den Füssen kann man sich ja mal irren. Der Abstieg geht jetzt über steile Kies- und teilweise Asphaltstrassen. Seit einigen Kilometern spüre ich das rechte Knie ein wenig und will deshalb nicht forcieren. Zudem verkrampft sich jetzt meine Rumpfmuskulatur leicht. Auch die hat es den ganzen Tag gebraucht. Ein anderer Läufer hat sich hinter mich gehängt. Ich habe das Gefühl, er ist schneller und will ihn passieren lassen. Seine Antwort: „You have a good pace, i will follow you“. Paul ist aus England und wir werden die restlichen 14km zusammen absolvieren. Schicksalsgemeinschaft nennt man das.

Brutal ist, dass man in der Ferne die Lichter der Pfingstegg sieht. Dort müssen wir auch noch hin. In Alpiglen sind wir noch höher, dann sind die Lichter auf einmal immer weiter über uns. Ja, der letzte Aufstieg lauert. Ich erinnere mich an die Wanderung vom Dienstag mit Silvia. Ob Paul die Strecke auch so gut kennt wie ich? Ich freu mich jedenfalls nicht auf diese Schlaufe!

Über die Gletscherschlucht
Dann endlich beginnt der Aufstieg. Ich fühle mich sehr gut und kann recht Tempo machen. Vorsichtigerweise nehme ich aber nochmals ein Gel, damit ich nicht im Schlussaufstieg schlapp mache. Es geht nun wieder auf technischem Trail durch den dunklen Nachtwald. Die beleuchtete Gletscherschlucht kommt näher und das tosen des Baches wird lauter. Noch ein kurzer giftiger Abstieg zur Brücke über die Schlucht, dann beginnt der Aufstieg beim Marmorbruch auf die Pfingstegg. Am Marmorbruch-Verpflegungsposten sitze ich kurz ab und munitionere das letzte Mal mit Gel und Wasser auf. Das reicht nun bis ins Ziel. Ich frage nach den Höhenmetern. 250 bis Pfingstegg ab hier. Also los.

Ich motiviere mich mit dem Gedanken, dass 250Hm nur einmal 1000er-Stägli sind. Das schaffe ich normal unter 15 Minuten. Also vorwärts. Paul brummelt von hinten „That’s pure punishment!“ – Dann sind wir oben und sehen unten in Grindelwald das Zielgelände. Am Verpflegungsposten halten wir nicht mal mehr. Der brutal steile Abstieg ist dann nochmals eine ziemliche Geduldsprobe für mich. Wir werden noch von verschiedenen Läufern überholt, ich getrau mich aber nicht mehr zu forcieren. Ich rechne. Wir sind nun 21:30h unterwegs. Ich will es unter 22h schaffen. Sobald wir im Tal ankommen, weihe ich Paul in meinen Plan ein. „We can break 22 hours. Can you run?“ Paul kann und so hetzen wir über den Campingplatz und der Puls steigt wieder mal etwas an. Nun fehlen nur noch ca. 70 Höhenmeter hoch ins Dorf. Auch diese packen wir. Und nochmals Laufschritt entlang der Hauptstrasse bis zum Zielgelände beim Kongresszentrum. Die Datasport-Uhr zeigt eine Laufzeit 21:44h, als wir unter dem Zielbogen durchlaufen. Es ist 02:15 Uhr am Morgen. Der Eiger Ultra Trail 2014 ist für mich Geschichte! Was für eine Fülle von Eindrücken!


Strecke Etappe:       14.3 km
Strecke Total:           101 km
Hm Etappe:              +550 m / -1200 m
Hm Total:                 +6‘700 m / -6‘700 m
Zeit Etappe :             2:44 h
Zeit Total:                 21:44 h

Zieleinlauf mit Paul


Fazit
Meine Ausrüstung hat sich mit Ausnahme der Fenix sehr gut bewährt. Die körperlichen Beschwerden hielten sich mit Ausnahme der Krämpfe im Rahmen. Ich denke für einen erfolgreichen Finish in so einem Rennen braucht es eine gewisse körperliche Verfassung, dann aber vor allem Erfahrung und viel Geduld, zudem auch eine Prise Glück.


Während ich mitten im Rennen kurz gezweifelt hatte, ob ich so was wieder mal machen will, freue ich mich nun zwei Tage später auf die nächste Gelegenheit, es noch etwas besser zu machen! Am 16. August ist Mountainman-Time!!!

Morgen-Selfie vor dem Eiger